Infinity Servo Static 1

Ein weiterer zwanzig Jahre alter Traum wurde für mich zur unfassbaren Wahrheit. Ich hätte es mir selbst in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können, diese Traumteile, die dazu auch noch relativ selten sind, jemals in meinen vier Wänden stehen zu haben. Nur durch den richtigen Blick zur richtigen Zeit am richtigen Ort konnte ich die Götter zu meinen Gunsten stimmen. Und sie haben mich erhört. Die Beschreibung dieser Boxen fällt schon um einiges umfangreicher aus, als viele andere Artikel hier, was aber in der Natur der Sache liegt.

Ein glücklicher Zufall hat mir bei der Suche danach in die Karten gespielt. Eigentlich war ich auf der Suche nach Daten und evt. schönen Bildern von dieser Servo Static 1, im weiteren Text als SS1 bezeichnet. So bin ich dann eben tatsächlich an die richtige Stelle gekommen, wo dann nicht nur Bilder, sondern sogar das Verkaufsangebot dabei war. Da gab es nicht viel zu überlegen. Das Ding ist zu selten, als dass man das einfach so "sausen" lässt. Also Kontakt auf genommen, Termin gemacht und die Raritäten abgeholt.

Einen kleinen Pferdefuß gab es für mich bei der ganzen Sache aber doch noch. Zum kompletten "System" gehört normalerweise auch ein 18" (46 cm) Subwoofer mit Servosteuerung und entsprechender Elektronik. Diesen Subwoofer wollte der Verkäufer aber absolut nicht abgeben. Und so war ich gezwungen, dafür eine alternative Lösung zu finden. Doch dazu später. Die Elektronik war jedoch Bestandteil des Verkaufs, zumal sie auch die notwendige aktive Weiche beinhaltet.

Tja, und nun stehen sie bei mir. Bevor es aber daran gehen konnte, die SS1 erstmals zu hören, mussten noch einige Vorbereitungen durch geführt werde, auf die ich so nicht vorbereitet war. Da die Boxen vom Typ her zu den Elektrostaten gehören (daher auch der Name Servo Static 1) und diese zuvor seit etlichen Jahren nicht mehr am Strom hingen, also nicht betrieben wurden, konnten sie nicht einfach so ans Stromnetz gelegt werden.

Elektrostaten sind sehr sensible Gebilde, die durch falsche Inbetriebnahme durchaus auch Schaden nehmen können. Dessen war ich mir bewusst und der Verkäufer hat mich in seiner Eigenschaft als Fachmann auch noch mal darauf hin gewiesen. So musste ich zunächst einmal den ersten Einschaltvorgang sehr sanft vornehmen. Das heißt in der Praxis, dass nicht von Anfang an die volle Netzspannung angelegt werden darf. Ich habe in diesem Fall dafür gesorgt, dass dies bei mir in mehreren kleinen Schritten erfolgen sollte.

Im ersten Schritt habe ich nur eine Netzspannung von ca. 10% der normalen Netzspannung für etwa 1 Stunde angelegt. Damit ist sicher gestellt, dass die erste Aufladung der Hochspannung sehr sanft von statten geht ohne dabei etwas zu zerstören. Im Schritt 2 wurde dann ca. 50% angelegt und diese ebenfalls für ca. 1 Stunde zum weiteren Durchladen verwendet. Im letzten Schritt wurde dann die volle Netzspannung angelegt und die SS1 damit ca. 2 Stunden endgültig aufgeladen.

Jetzt war die SS1 betriebsbereit und die ersten Hörproben könnten endlich gefahren werden. Könnten! Ja, wenn da nicht noch die Sache mit dem fehlenden Bass wäre. Nun hatte ich aber das große Glück, in der Vergangenheit zwei gebrauchte 30 cm Kappa Bässe zu bekommen, die bis dahin noch keiner direkten Verwendung zugeführt wurden. Das wurde nun schlagartig anders! Die Bässe wurden auf die Schnelle in ein Paar nicht großartig berechnete Kisten (siehe Bild links) gepackt und für den Einsatz bereit gestellt. Als Endstufe habe ich dafür eine meiner Wangine WFA-220 vorgesehen.

Bevor es aber zur Klangbeschreibung geht, möchte ich in meiner üblichen Art erstmal die SS1 ein wenig im Detail beschreiben. Zunächst einmal ist da die Frage, was denn dieses "Servo Static" bedeutet? "Servo" steht dafür, dass dieses komplette System ja auch mit einem Subwoofer ausgestattet ist, der seinerseits einen integrierten Sensor hat, der wiederum von einer "Servo-Elektronik" kontrolliert wird. "Static" steht für Elektrostatischer Lautsprecher.

Eine Elektrostatischer Lautsprecher arbeitet nicht, wie sonst üblich nach dem dynamischen Prinzip mit Magneten. Hier gibt es keinerlei Spulen und Magnete. Das Funktionsprinzip ist ebenso einfach, wie genial. Sehr einfach ausgedrückt besteht der Elektrostatische Lautsprecher (ESL) aus zwei Statoren in Form von metallischen Lochblechen oder Gittern, die mit einer sehr hohen statischen Gleichspannung (mehrere 1000 V!) gegenpolig (+ und -) aufgeladen sind und ständig bleiben. Dazwischen befindet sich noch eine eben so große ultraleichte und elektrisch leitende Folie, die aber abhängig vom Musiksignal mit einer ebenfalls hohen, aber dynamischen und wechselnden Spannung beaufschlagt wird.

Da die Folie ja nach Musiksignal mal positiv und mal negativ aufgeladen wird und sich dabei zwischen den beiden Metallstatoren in einem relativ engen Freiraum befindet, wird sie bedingt durch ständig wechselnde statische Ladungen mal nach vorne und mal nach hinten angezogen bzw. abgestoßen. Dabei entsteht naturgemäß eine Bewegung der gesamten Folie, was dann dann den Schall erzeugt. Hierbei fließt übrigens so gut wie kein Strom! Wenn überhaupt, dann kann das nur ein sehr sehr geringer Leckstrom sein, der sich im picoAmpere Bereich bewegt.

Nun hat die SS1 im Bereich ab bereits 70 Hz den ESL Einsatz. Dass dies nicht so ganz ohne Probleme abgehen kann leuchtet ein, da wie bei dynamischen Systemen tiefe Frequenzen eine große Abstrahlfläche brauchen und hohe Frequenzen eine viel kleinere Abstrahlfläche, wurde dem hier auch Rechnung getragen. Infinity hat sich in der Sache entschieden, hier eine Trennung bei 2000 Hz zu wählen.

Damit arbeiten die (richtig gelesen! DIE) Mitteltöner (links im Bild) im Bereich von 70 Hz bis 2000 Hz. Von diesem "Mitteltöner" sind 4 Stück pro Kanal eingesetzt. Damit wird auch die 4-fache Abstrahlfläche erreicht, die dann auch in der Lage ist, die doch recht niedrigen Frequenzen ab 70 Hz sauber zu übertragen. Die Mitteltöner sind folgendermaßen angeordnet: zwei Stück sind direkt und ohne Abstand zueinander übereinander montiert. Der obere Mittelton ist lediglich mit einem Schaumstoffstreifen, ähnlich dem Tesamoll für Fenster unterlegt. Von dieser Anordnung sind dann zwei nebeneinander montiert. Dazwischen ist in der Senkerechten aber noch ein ca. 10 cm breiter Streifen frei gelassen, der für die Hochtöner vorgesehen ist.

Ab 2000 Hz übernehmen die Hochtöner. Auch diese sind als ESL ausgeführt, jedoch mit dem für den optimalen Einsatzzweck angepassten Abmessungen. Auch hier sind 4 Hochtöner im Einsatz. Zwischen den Mitteltönern ist, wie oben schon gesagt ein freier Streifen geblieben in dem alle Hochtöner übereinander montiert werden können (links im Bild). Der unterste Hochton wurde allerdings nicht senkrecht, sondern waagerecht montiert (rechts im Bild). Im unteren Teil des Gehäuses ist auch das komplette Netzteil mit den Signalübertragen für die Hochspannung unter gebracht. Mittig zum Gehäuse und direkt vor den Trafos ist der quer liegende Hochton in der Front montiert.

Nun konnte es endlich los gehen. Dazu habe ich in der Eile erst mal ein paar einfache und relativ billige Verstärker heran gezogen, weil ich es nicht mehr abwarten konnte. Klanglich habe ich davon nicht all zu viel erwartet. Was mich dann aber überrascht hat, war schlicht umwerfend. Die SS1 spielte mit einer solchen Leichtigkeit auf, dass mir regelrecht die Kinnlade offen blieb und das mit einer im Verhältnis miesen Elektronik. Was würde da wohl raus kommen, wenn da richtig gute Elektronik dran hängen würde?

So habe ich mich dann daran gemacht, eine adäquate Elektronik dafür zu bekommen. Für den Anfang habe ich dazu zwei Luxman M-02 Endstufen gewählt, die auch nicht ganz so teuer sind, aber dennoch für wenig Geld einen akzeptablen Klang versprachen. Als ich diese dann endlich bekam, konnte die SS1 endlich unter Beweis stellen, wozu sie wirklich in der Lage ist.

Nun konnte ich es kaum noch erwarten, die SS1 unter guten Bedingungen zu hören. Es war kurz gesagt eine Offenbarung. In Details ausgedrückt wird das etwas länger. Zuvor aber will ich dazu noch ein Paar Eckdaten anbringen, die man zum besseren Verständnis kennen sollte. Da die SS1 aus dem Jahr 1968 stammen und somit schon über 40 Lenze zählt, kann und darf man davon ausgehen, dass daran nicht mehr alles wirklich taufrisch sein kann.

Da wäre zunächst einmal das unumgängliche Netzteil für die Hochspannungen des ESL (ElektroStatischerLautsprecher). Dieses hat die Aufgabe eine statische (daher kommt auch der Begriff) Spannung von + und - 4500 V Gleichspannung bereit zu stellen. Erst bei so hohen Spannungen kann ein ESL dieser Größe überhaupt arbeiten. Also dieses Netzteil ist ja schon sehr betagt (weshalb ja auch die sehr sanfte Wieder-in-Betriebnahme nötig war). Dennoch hat es es seinen Dienst völlig unbeeindruckt auf genommen.

Beim allerersten Einschalten, wenn auch nur mit 1/10 der Netzspannung gab es einige "Knistereien" als Begleitung. Das ist nach mehrjähriger Pause durchaus normal, zumal sich auch etwas Staub in Foliennähe angesammelt hat, der dabei vorübergehend leicht leitend wurde. Das hat dann zum Knistern geführt. Nachdem dann aber auch die volle Netzspannung aufgelegt war, herrschte bereits Ruhe.

Jetzt wurde es Zeit, die Elektronik, also die zugehörige Aktivweiche (links im Bild) für Mittel- und Hochton, eine inzwischen dazu gekaufte Aktivweiche für den Bass (rechts im Bild) und die 3 Verstärker anzuschließen und in Betrieb zu nehmen. Die ersten Geräusche aus den ESL waren ein leises Sirren, was wohl vom Netzteil herrührt, weil dieses nicht mehr das jüngste ist. Daneben gab es ein geringes Brummen, was aber wohl eher durch Erdschleifen hervor gerufen wurde. Ansonsten war aber Stille

Nun ging es ans Eingemachte und die erste CD wurde gestartet und die Vorstufe gaaanz vorsichtig auf gedreht. Die ersten zaghaften Töne sprudelten da aus den Folien der SS1. Nicht sonderlich laut, weil die SS1 ja ohnehin keinen so großen Wirkungsgrad hat, aber verdaaaaaammt sauber! Was da aus den SS1 kam, war schlicht überwältigend.

Der Klang ist unglaublich sauber, sehr fein zeichnend, extrem schnell in der Reaktion, sehr räumliche Darstellung (der Dipol Anordnung sei Dank), eine authentische Bühne mit sehr viel Tiefe und eine punktgenaue und extrem plastische Darstellung der einzelnen Instrumente. Das gesamte Geschehen war derart losgelöst vom Lautsprecher, dass ich mich zunächst einmal an diese für mich neue Situation gewöhnen musste. So, wie hier hatte ich noch nie zuvor Musik genießen dürfen. Ich wusste ja schon vorher, dass ESL'S etwas besonderes sind und ich habe ja auch schon welche gehört, aber 1. ist das schon eine Weile her und 2. waren das ganz andere Modelle und von einem anderen Hersteller.

Da musste ich von meiner bisher gewohnten RS1B Klangwelt erstmal Abstand bekommen. Das war gar nicht so einfach, weil es für mich so neu und anders war. Schnell wurde mir aber auch klar, das sich hier komplett neue Welten auftun, die ich nun erstmal kennen lernen musste. Da gab es plötzlich viel zu entdecken von dem, was ich so noch gar nicht kannte.

Man darf bei all der Euphorie nicht vergessen, dass die SS1 immer noch im Urzustand ist und das ist in der heutigen Zeit elektrotechnisch gesehen nicht gerade das Optimum. Als ich im Vorfeld bei Spezialisten in einschlägigen Foren um Hilfe zur Inbetriebnahme gebeten hatte, wurde ich anfangs nur müde "belächelt", weil man der Ansicht war, dass "diese alten SS1 die besten Zeiten schon hinter sich hätten". Ich sollte sie noch mal schön sauber machen und zu "Anschauungszwecken in die Ehrenecke" stellen, weil sie ja eh nicht mehr laufen würden.

Jetzt kann ich sagen, dass sie trotz des noch nicht revidierten Zustands sehr wohl noch spielt und das auch noch sehr souverän. Es machte mir mit jeder weiteren Stunde des Hörens immer mehr Spaß und nun kommen langsam Zweifel, ob meine bisherige Referenz die RS1B noch eine Daseinsberechtigung haben durfte. Ich habe dann noch mal die RS1B angeworfen und war im ersten Augenblick förmlich schockiert von dem, was mir die RS1B da ablieferte. Sie klang im Vergleich zur SS1 im Hochtonbereich eher "verhangen", nicht mehr so brilliant und weit weniger offen.

Das machte mich dann aber schon mehr als stutzig und ich fing an zu grübeln, wie es nun mit der RS1B weiter gehen sollte. Sollte ich mich von ihr trennen oder sie doch noch behalten. Ich war wirklich sehr unsicher, was nun zu tun wäre. Um es kurz zu machen: ich habe mich dann entschieden, die RS1B doch weiter zu behalten, zumal ich damit auch die direkten Vergleichsmöglichkeiten habe.

Was aber die SS1 betrifft, habe ich mich entschlossen, sie von Grund auf neu auf zu bauen. Das bedeutet, das komplette Netzteil wird bis auf den Trafo rundum erneuert. Die komplette Verkabelung wird erneuert und die elektronischen Bauteile neu angeordnet. Da mir der originale Subwoofer nicht mit gegeben wurde und ich somit in der Sache zu Eigeniniativen gezwungen war, musste ich mir auch dazu Gedanken machen. Das Ergebnis dazu ist ja oben schon gesagt worden. Es ist zwar "nur" eine Übergangslösung und soll später durch eine endgültige Lösung ersetzt werden, aber das braucht dann doch weit mehr Zeit und wird deshalb erstmal verschoben.

Die originalen MHT Panels sind wegen des fehlenden Bass ohnehin kein komplettes System mehr und somit habe ich auch alle Freiheiten, daraus etwas ganz Neues zu machen. Und genau das habe ich vor. Die derzeitigen Panels werden komplett zerlegt und in einem völlig neuen Gehäuse wieder aufgebaut. Bei der Gelegenheit wird dann auch gleich das komplette Netzteil und die Verkabelung runderneuert. Doch dazu später.

Technische Daten:

Leistungsfähigkeiten 

Mittelton gesamt: empfohlen ab 100 - 250 Watt

Hochton gesamt: empfohlen ab 35 - 125 Watt

Frequenzbereich: 15-30000 Hz

Impedanzen: Mitttel- und Hochton: 2 Ohm

Übergangsfrequenzen: 70, 2000 Hz

Maße Mittel-Hochton-Panel BxHxT: 710x910x160 mm

Anregungen und Kritiken an info@klaus-pohlig.de